02. März 2015
„Die Wirtschaft ist auf Personen mit Überblick angewiesen“
Der Basler Autor Luc Saner beschreibt gemeinsam mit namhaften Wissenschaftlern in seinem Buch „Studium generale – Auf dem Weg zu einem allgemeinen Teil der Wissenschaften“ eine neue, interdisziplinäre Studiumsstruktur, in der grundlegende Fragen gestellt werden: Woher kommen wir, wer sind wir und wohin sollen wir gehen? Ein allgemeiner Teil der Wissenschaften soll diese Fragen in je einem Semester vor und nach dem heute gängigen Fachstudium beantworten.
HKBB: Das „Studium generale“ möchte die Fachstudiengänge der Universitäten mit einem allgemeinen Teil ergänzen. Welche Inhalte sollen in den beiden zusätzlichen Semestern vermittelt werden?
Um einen allgemeinen Teil der Wissenschaften zu entwickeln, müssen Themen aus allen Fachdisziplinen behandelt werden, so zum Beispiel die kosmische, biologische und kulturelle Evolution. Im Rahmen solcher Grundthemen werden zudem Themen wie Vorausbestimmtheit und Voraussehbarkeit, Komplexität und Information, Sinnfragen oder das Problem der Verständigung behandelt. Schliesslich sollen möglichst alle relevanten Wissenschaftsdisziplinen unter Berücksichtigung dieser Themen und mittels einheitlicher Kriterien abgehandelt werden.
Das erste Semester wird vor dem Fachstudium absolviert. Es behandelt grundlegende, theoretische Fragen. Das zweite Semester betrachtet diese in praktischer Hinsicht und soll nach dem Fachstudium absolviert werden. Besuche zahlreicher Einrichtungen, z.B. eines Parlaments, eines Biozentrums, eines Wirtschaftsunternehmens oder einer Theaterveranstaltung gehören ebenso dazu. Projekte, wie die Gründung eines wissenschaftlichen Instituts, eines Konzerns oder eines Weltstaats runden das Studium generale ab.
Die heutige Leistungsgesellschaft für eine längere Studiendauer zu begeistern ist keine leichte Aufgabe. Welche Studierenden werden angesprochen?
Ob mit den zwei zusätzlichen Semestern Studium generale eine Verlängerung der Gesamtstudiendauer verbunden ist, ist offen. Sie liessen sich als Masterstudiengang ausgestalten. Zudem sollen nur etwa zwei bis drei Prozent eines Jahrgangs das Studium generale absolvieren. Es sind Menschen, die eine Leidenschaft zur Erkenntnis haben. Da das Studium generale eine umfassende Übersicht über die Wissenschaft geben soll, kommen auch nur umfassend interessierte Absolventen in Frage. Besonders geeignet ist das Studium generale für Absolventen, die politische, gesellschaftliche, wirtschaftliche und wissenschaftliche Organisationen führen wollen, aber generell auch für alle, die erkannt haben, dass Interdisziplinarität nicht ein „nice to have“, sondern ein „must“ ist. Denn nur so ist es möglich, das reiche Wissen der heutigen Zeit auch auszuschöpfen.
Vernetztes Denken und fundiertes Wissen ist ein erstrebenswertes Ziel. Welche Vorteile könnte das Studium generale der Wirtschaft bringen?
Die Wirtschaft ist gerade für die Führung grosser Organisationen auf Personen mit Überblick angewiesen. Überblick, gestützt auf grundlegendes Wissen, ist auch in vielen anderen Funktionen ein entscheidender Vorteil. Die Fähigkeit, sich gegenseitig fachübergreifend zu verstehen, erleichtert die Zusammenarbeit und fördert die Innovation und die Wettbewerbsfähigkeit. Und das klare, präzise Denken ist ein weiterer entscheidender Vorteil, den das Studium generale mit sich bringt. Für die Wirtschaft sind aber auch die politischen, gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Rahmenbedingungen von grosser Bedeutung. Das Studium generale kann diese günstig beeinflussen.
Eine renommierte Universität ist ein wichtiger Standortfaktor. Als Wissenschaftsbetriebe befinden sich die Universitäten jedoch auch im internationalen Wettbewerb, wo Forschung und Leistung mess- und vergleichbar sein müssen. Wie geht das Studium generale damit um?
Im Vorwort des Buches weist Antonio Loprieno, Rektor der Universität Basel, auf das heutige Dilemma zwischen Bildung und Ausbildung an unseren Universitäten hin. Was die Messbarkeit der Forschung und der Lehre nach den heutigen Kriterien betrifft, bin ich überzeugt, dass die Einführung eines Studium generale jede Universität in den entsprechenden Rankings nach oben befördern wird. Dafür sorgt der Elitecharakter des Studiums, seine zwingende Interdisziplinarität und der Umstand, dass diese Elemente eine andauernde Entwicklung der Fächer ermöglichen, da der Fundus von verwertbarem Wissen viel grösser ist als bei den Fachstudien und -disziplinen. Ich wage die Prognose, dass eine Universität mit einem echten Studium generale einen Grossandrang von Studenten und Dozenten erleben wird. Bereits die heute existierenden, zahlreichen Studia generalia, die ohne einen allgemeinen Teil mehr oder weniger koordinierte allgemeinbildender Veranstaltungen anbieten, sind in der Regel gut ausgelastet.
Abschliessend gestatte ich mir den Hinweis, dass die Gründung unserer Universität ganz wesentlich auf die Initiative von Bürgerinnen und Bürgern unserer Stadt zurückging. So gehörte die Geschäftsfrau Margarethe Brand als Stifterin eines Theologie-Stipendiums zu den ersten Unterstützern unserer 1460 gegründeten Universität. Es wäre erfreulich, wenn auch das Studium generale auf die Unterstützung privater Kreise zählen könnte, zum Beispiel für die Gründung eines Instituts für ein Studium generale.
Sie interessieren sich für das Studium generale? Das Buch ist im Handel erhältlich, detallierte Unterlagen zum Thema finden Sie online: www.aubonsens.ch > „Studium generale“
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